Marketing-Anzeige

„Wir müssen den Energieverbrauch flexibilisieren“

Prof. Dr. Hans-Martin Henning, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE), beleuchtet im Gespräch mit BVT die zentralen Fragen und Lösungen für eine nachhaltige Energiezukunft.

Herr Henning, 2023 lagen die weltweit getätigten Investitionen in „grüne” Technologien bei 1,8 Billionen US-Dollar. Doch in Deutschland besteht weiterhin ein enormer Kapitalbedarf bei Energie & Infrastruktur. Fehlen immer noch die notwendigen Investitionsanreize und -produkte, um genug Kapital für die Energiewende zu mobilisieren?
Das ist eine sehr wichtige Frage. Wir teilen den Befund, dass wir erhebliche private Investitionen brauchen werden. Der Umbau der Energieversorgung ist mit einem enormen Kapitalaufwand verbunden. Unsere Studien am Fraunhofer-Institut ISE zeigen einen Investitionsbedarf von zwei bis drei Billionen Euro für den Ausbau erneuerbarer Energien samt Speichern und Stromnetzen. Das zentrale Problem sind derzeit die unklaren regulatorischen Rahmenbedingungen. Bei Energiespeichern beispielsweise sind die zukünftigen Geschäftsmodelle noch nicht hinreichend definiert. Investoren brauchen Verlässlichkeit, besonders wenn es um Investitionen geht, die auf eine Nutzungsdauer von über 15 bis 20 Jahren angelegt sind. Das bedeutet, wir müssen Klarheit schaffen – sei es bei Steuern, Netzentgelten oder Umlagen. Wenn beispielsweise das Einspeichern und Ausspeichern von Strom mehrfach mit Steuern und Umlagen belastet wird, wird das Geschäftsmodell deutlich unattraktiver. 

Im Oktober eröffnete Ihr Institut ein neues Forschungszentrum für Batteriespeicher. Welche Rolle spielen Speicher für die Klimawende?
Speicher sind von entscheidender Bedeutung. Wir stehen vor der Herausforderung, die Volatilität erneuerbarer Energien auszugleichen, da weder Photovoltaik noch Windenergie eine konstante Stromproduktion gewährleisten können. Kurzzeitspeicher wie Batteriespeicher spielen eine kritische Rolle, um Stromproduktion über wenige Stunden zu überbrücken – etwa vom Mittagspeak bis in den Abend. Hier erwarten wir einen Speicherbedarf von mehreren Hundert Gigawattstunden. Besonders interessant werden dabei zukünftig auch Elektrofahrzeuge sein, deren Batterien unter Wahrung einer vom Nutzer zu bestimmenden Mindestladung ins Stromnetz zurückspeisen und so eine stabilisierende Funktion übernehmen können. Für saisonale Ausgleiche, wie die Überbrückung von Sommer zu Winter, setzen wir hingegen auf Wasserstoff und Wasserstofffolgeprodukte, die Energie über längere Zeiträume speichern und bedarfsgerecht in Strom zurückwandeln können.

Welche Herausforderungen muss Deutschland bewältigen, um eine flächendeckende Versorgungssicherheit zu gewährleisten?
Die Herausforderung ist äußerst komplex und erfordert einen umfassenden Technologiemix. Im Bereich Lastmanagement müssen wir Energieverbrauch flexibilisieren – beispielsweise indem Wärmepumpen bevorzugt dann betrieben werden, wenn viel Windstrom verfügbar ist. Auch industrielle Anwendungen, wie beispielsweise Kühlhäuser, bieten große Potenziale für Lastverschiebung. Speichertechnologien spielen eine Schlüsselrolle: Kurzzeitspeicher umfassen stationäre Batterien und Fahrzeugbatterien sowie Pumpspeicherkraftwerke. Auch Wärmespeicher in Gebäuden oder Fernwärmenetzen werden wichtiger. Bei saisonalen Speichern kommt vorwiegend Wasserstoff zum Einsatz, der in bestehenden Kavernen gespeichert werden kann. Flexible Rückverstromungskraftwerke springen bei Stromknappheit ein, insbesondere während der sogenannten „kalten Dunkelflaute“ im Winter. Ein weiterer entscheidender Faktor ist die digitale Infrastruktur. Bei perspektivisch vielen Millionen Systemteilnehmern benötigen wir hoch digitalisierte Kommunikationssysteme, die Flexibilität und das komplexe Zusammenspiel ermöglichen.

Welche Fortschritte erwarten Sie bei Batterietechnologien?
Die Lithium-Ionen-Technologie bleibt vorerst das „Maß der Dinge“, bietet jedoch weiterhin erhebliches Verbesserungspotenzial. So können wir in den nächsten zehn Jahren eine bis zu 50-prozentige Steigerung der Speicherdichte sowie eine Halbierung der Herstellungskosten erwarten. Zudem wird intensiv an der Entwicklung nickel- und kobaltfreier Kathoden gearbeitet. Alternativen zur Lithium-Ionen-Technologie werden ebenfalls erforscht, deren Einsatz insbesondere bei stationären Speichern zu sehen ist. Natrium-Ionen-Batterien sind zwar kostengünstiger, weisen jedoch eine geringere Energiedichte auf. Zink-Ionen-Technologien bieten ressourcenschonende und inhärent sichere Eigenschaften, und auch Magnesium-Batterien stellen eine weitere vielversprechende Alternative dar. 

Nachhaltigkeit und Recycling scheinen Kernthemen Ihrer Forschung zu sein.
Absolut! Unser Ziel ist es, Batteriesysteme zu entwickeln, bei denen wir perspektivisch 99 Prozent der Materialien wiederverwenden können. Zentrale Ansätze umfassen umweltfreundlichere Herstellungsverfahren, etwa durch die Vermeidung kritischer Chemikalien wie PFAS, die Entwicklung von Trockenbeschichtungsverfahren und die Reduzierung der Verwendung gesundheitsschädlicher Lösungsmittel in der Produktion. Gleichzeitig versuchen wir, Produkte vom ersten Stadium an so zu designen, dass die Wiederverwendbarkeit gewährleistet ist. Wir versuchen Materialengpässe zu antizipieren und entwickeln Technologien, die eine maximale Materialwiederverwendung ermöglichen.

Informationen zum Interviewpartner: Prof. Dr. Hans-Martin Henning ist Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg, Deutschland, und Inhaber der Professur „Solare Energiesysteme“ im Institut für Nachhaltige Technische Systeme, Technische Fakultät der Universität Freiburg. Er ist Vorsitzender des Expertenrats für Klimafragen (berufen durch die Bundesregierung), Mitglied des Beirats für das Energieforschungsprogramm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, Mitglied der acatech (Deutsche Akademie der Technikwissenschaften) und Mitglied im Direktorium des Akademien-Projekts „Energiesysteme der Zukunft“.

Studien des Fraunhofer Instituts:

Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme (ISE)
Wege zu einem klimaneutralen Energiesystem

Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung (ISI)
Technologie-Roadmap Lithium-Ionen-Batterien 2030 

Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung (ISI)
Alternative Battery Technologies Roadmap 2030

Weitere Artikel
Günstige Einstiegspreise für Investoren

Bis 2040 werden weltweit 81 Billionen Euro für Energie und Infrastruktur…

BVT erhält Genehmigung für Windpark-Erweiterung in Emlichheim

Mit einer Investitionssumme von rund 40 Millionen Euro sollen sechs zusätzliche…

USA investiert Rekordsummen in grüne Technologien

Investitionen in erneuerbare Energien und CO₂-Reduktion in den USA steigen…

Neue Chancen durch alternative Anlageklassen

BlackRock und J.P. Morgan betonen die zunehmende Bedeutung alternativer…

Megatrend Energiewende bleibt auf Kurs

Die weltweiten Investitionen in grüne Energien erreichten 2023 ein neues…

Erste „dunkelgrüne“ Investments in Prüfung

Über den neuen BVT Sustainable Energy Fund können institutionelle Investoren…